Eiszeit-Tour: Radtour in Neubrandenburg und am Tollensesee
„The rocks have a history; gray and weatherworn, they are veterans of many battles; they have most of them marched in the ranks of vast stone brigades during the ice age; they have been torn from the hills, recruited from the mountaintops, and marshaled on the plains and in the valleys; and now the elemental war is over, there they lie waging a gentle but incessant warfare with time and slowly, oh, so slowly, yielding to its attacks!“
© John Burrough (1837 – 1921), US-amerikanischer literarischer Naturforscher
Um den Winter zu verabschieden und um die ersten warmen Tage des Jahres zu begrüßen, kam ich auf die Idee, sogenannte „Eiszeit-Touren” zu absolvieren. Sozusagen dem Winter im Rahmen des Thema Rad- und Wandertouren zum Thema „Eiszeit” ein letztes Mal zu begegnen.
Meine zweite Eiszeit-Tour führt mich in die Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg und zur Südspitze des Tollensesees. Hier erkundige ich mich mit meinem Gravelbike „Esel” einige Orte, die von den letzten Eiszeiten geprägt wurden.
Meine erste Eiszeit-Tour findest du hier.
Inhaltsverzeichnis
Das Brohmer Ei
Ausgangsort dieser Tagestour ist der Bahnhof von Neubrandenburg. Von dort radle ich zuerst in die Altstadt, also in den Stadtbereich, der innerhalb der Stadtmauern liegt. Dort fahre ich direkt in die Potanusstraße, denn dort liegt – nicht sofort von der Straße erkennbar – in einem Hochbeet ein Zeuge der letzten Eiszeit.
Gegenüber dem Eine-Welt-Laden liegt in einem Hochbeet, das mit typischen Geschiebematerial der Ostsee gefüllt ist, wie in einem Nest eingebettet das sogenannte Brohmer Ei. Ein ungewöhnlicher Findling, die der Gletscher der damaligen Eiszeit herangetragen hat.
Laut dem offiziellen Erfassungsbeleg ist das Brohmer Ei, ein mittekörniger Sandstein, der wahrscheinlich aus dem Rhät-Lias (etwa 190 bis 220 Millionen Jahre alt) aus Schonen (Südschweden) oder von der dänischen Insel Bornholm stammt.
Das Ei ist etwa 1,8 Meter lang, 1,2 Meter breit und weißt eine Höhe von 1 Meter auf. Damit fällt dieses Sedimentgestein unter dem Landesnaturschutzgesetz und ist daher ein Geotop ausgewiesen und geschützt.
Allerdings ist das Hochbeet nicht der ursprüngliche Fundort des Eis, sondern der Name stammt Gutspark von Brohm bei Friedland, wo es sich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts befand. Anschließend wurde das Gestein in der DDR-Zeit auf Veranlassung des damaligen Leiters des Bezirksmuseums Neubrandenburg, Paul Schuhmacher, in die Vier-Tore-Stadt gebracht.
Neben dem Ei stehen noch zwei Säulen, die jeweils als Meilenstein und als Wegweiserstein einst Verwendung fanden. In einem weiteren Hochbeet, rechts vom Brohmer Ei, sind ein paar verschiedene Trogmühlen aus der Bronzezeit ausgestellt. Dazu im starken zeitlichen Kontrast liegt ein Mühlstein aus dem 19. Jahrhundert, den sich man ebenfalls aus nächster Nähe anschauen kann.
Letztendlich gibt es hier also nicht nur einen ungewöhnlichen Zeugen der Eiszeit zu bewundert, sondern auch regionalhistorische Artefakte zu bewundern.
Entlang dem Tollensesee
Nach der Ei-Beschau geht aber die Radtour so richtig los. Ich fahre in Richtung Süden und folge dem Radweg, der am Ostufer des Tollensesees entlang verläuft. Es geht teils auf Asphalt, teils auf Wald- und befestigen Feldwegen entlang des Sees. Immer mal wieder rauf und runter. Und ab und an kann ich auf den Tollensesee blicken. Aufgrund des bewölkten Himmels zeigt er sich eher in ein grauweißen Farbe.
Der Tollensesee ist wie auch das Brohmer Ei ein Überbleibsel der letzten Eiszeit. Geologen haben herausgefunden, dass dieser See aus einer glazialen Rinne hervorgeht. Damit sind langgestreckte Hohlformen gemeint, die in der letzten Eiszeit („Weichsel-Eiszeit”) durch die Erosionskraft von Gletschern entstanden sind.
Wenn ein Gletscher über einen Felsen oder eine harte Gesteinsschicht gleitet, kann er Material abtragen und eine Rinne in den Untergrund schaben. Diese Rinnen werden oft durch das Schmelzwasser des Gletschers weiter vertieft und verbreitert. So entstehen die glazialen Rinnen, die neben ihren charakteristischen langgestreckten, tiefen Tälern auch steile Wänden und einem flachen Boden aufweisen.
Als Naherholungsgebiet ist der Tollensesee heutzutage sehr beliebt. Jetzt Ende März ist natürlich noch wenig los, aber sobald die ersten warmen Frühlingstage kommen, geht es am Ufer weitaus wuseliger zu. Kein Wunder, denn dank Wander- und Radwegen kann man das Ufer rundum den See wunderbar erkunden. Und die Strandbäder und Wassersportzentren mit Jachthäfen, Segel-, Ruder- und Kanusportvereinen ermöglichen Badespaß im und auf dem Wasser.
Hinauf zur Quelle
Die Radstrecke am Tollensesee (und eigentlich ganz um den See) weist ein reines Sägezahnprofil auf. Das heißt, wo es hinunter geht, geht es auch wieder hinauf und so weiter. Bei meinem nächsten geologischen Haltepunkt geht es mit einigen Prozenthöhen hinauf. Uff! Die letzten Meter schiebe ich das Rad, denn leider habe ich hier ein wenig zu spät geschaltet. Doch die Mühe lohnt sich, denn dank der erhöhten Lage kann man ein wenig in die Weite blicken und ein besonderer Ort liegt sprichwörtlich vor meinen Fußen: die Schichtquelle Usadel.
Quellen sind im Allgemeinen natürliche Wasseraustritte an der Erdoberfläche. Bei der Schichtquelle Usadel handelt es sich um eine Quelle, die zwischen der Grundwasserschicht und einer darunter liegenden undurchlässigen Schicht austritt. Diese Art von Quelle ist die häufigste Form, die man im Geopark Mecklenburgische Eiszeitlandschaft antrifft. Der Grund dafür liegt an der mehreren Eisvorstößen, die jeweils die durchlässigen und undurchlässigen Gesteinsschichten aufeinander gelagert haben. Dieses Phänomen wird auch als pleistozänes Grundwasserstockwerk bezeichnet.
Die Schichtquellen treten dabei nicht einzeln auf, sondern häufig als linear aufgereihte Quellen vor. Durch die Anhäufung der Quellen wird auch die Entstehung von Quellmooren begünstigt. Im Tollensegebiet gibt es einige von denen zu finden.
Bei der Usadel-Quelle handelt es sich allerdings nur um eine einzige Quelle, die ganzjährig aus dem Hang heraustritt. Auffällig im Quellbereich ist die rostbraune Ablagerung, die wohl auf eisenhaltiges Wasser zurückzuführen ist.
Auf den Hellbergen
Bei der Quelle von Usadel nehme ich den Radweg, der mich weiter nach Süden führt. Hier erreiche ich die Hellberge und damit auch den südlichsten Punkt meiner Radtour. Allerdings kann ich nicht auf die Hellberge hinauffahren. Schieben ist angesagt. Ich orientiere mich am Weg, der am Südhang der Hellberge verläuft.
Vorbei an Gestrüpp auf einem ganz schmalen Pfad schiebe ich das Rad bergauf. Ein Buntspecht und ein Ölkäfer begegne ich dabei auf meinem Weg nach oben. Meine ersten Tierbeobachtungen überhaupt an diesem Tag. Und sogar an einem Aussichtspunkt mit Bänken und Tisch komme ich vorbei. Doch der Gipfel ist noch nicht erreicht.
Es ist mühselig und ja, ich fluche auch ein wenig, dass ich vielleicht doch einen anderen Weg hinauf hätte nehmen können. Oder ich hätte mein Rad am Fuße des Berges irgendwo anschließen können. Aber nein, Esel muss mit. Und schließlich erreiche ich den Gipfel und werde mit wunderbaren Aussichten belohnt. Auch ein paar Informationstafeln begrüßen mich bei der Ankunft.
Hierbei erfahre ich, dass ich nicht auf Gletschermoränen stehen, sondern die Entstehung der Hellberge ist eng mit der Entstehung des Tollensesees verknüpft sind. Hierbei muss ich mir die Gletscher mit zahlreichen Rissen und Spalten vorstellen, durch die nach und nach große Mengen Schmelzwasser sickerte. Das Wasser sammelte sich unter dem Eis und spülte auf dem Weg zum Eisrand rinnenartige Vertiefungen in den Untergrund, wobei die Strömungsgeschwindigkeit nachließ und das mitgeführte Gesteinsmaterial in den Spalten und Rinnen wieder abgelagert wurde. So entstanden die Hellberge.
Die Hellberge sind eine markante Erhebung im südlichen Teil des Tollensebeckens. Immerhin stehe ich hier auf 92 Höhenmeter. Nur wenige Schritte entfernt hilft eine Fototafel bei der Orientierung der einzelnen Landschaftspunkte, die ich von hier aus erblicken kann.
Eine Person sollte in Bezug auf die Hellberge nicht unerwähnt bleiben. Walter Gotsmann (1891 – 1961) war Lehrer, Landschaftsmaler und Naturschützer, der sich sehr aktiv um den Schutz von bestehenden als auch um Ausweisung neuer Naturschutzgebiete im Altkreis Neustrelitz kümmerte. Zum Gedenken an seine Arbeit als Naturschützer wurde der Findling auf den Hellberge als Walter-Gotsmann-Stein benannt. Eine Info-Tafel erzählt dazu etwas über sein Leben und seine Arbeit.
Eugen-Geinitz-Sicht
Nach der längeren Pause auf dem Hellberg, wo ich den Anblick auf die eiszeitlich geprägte Landschaft genossen habe, fahre ich die mir jetzt bekannte Strecke wieder zurück nach Usadel. Von dort biege ich auf die B96 und radle ein kleines Stück entlang, bis ich den Park- und Rastplatz mit der Bushaltestelle Usadel, Motel erreiche. Dort liegt auch die Eugen-Geinitz-Sicht.
Doch wer ist Eugen Geinitz? Im Jahr 1854 in Dresden geboren, studierte er dort Geologie und Mineralogie. Im Jahr 1887 wurde er nach Rostock berufen und erhielt an der Uni den Lehrstuhl für Geologie und Mineralogie. Drei Jahre später wurde er Direktor des Mineralogisch-geologischen Institutes und wirkte seit 1889 als Direktor der Geologischen Landesanstalt des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin. Geinitz hat zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten geschrieben, darunter zählt sein zweibändiges Lebenswerk „Geologie Mecklenburgs”, das 1922 veröffentlicht wurde – und dazu führt, dass man ihm den Spitznamen „Vater der Geologie von Mecklenburg” gab, der noch heute mit Respekt unter den Geologen in Mecklenburg-Vorpommern genannt wird.
Zum Gedenken wurde dann 2013 die Eugen-Geinitz-Sicht feierlich eröffnet. Von diesem Aussichtspunkt, der etwa 60 Meter über NHN liegt, bietet sich ein eindrucksvoller Blick über die
Eiszeitlandschaft um den Flachwassersee Lieps.
Neben der Tafel mit dem Panoramabild steht auch ein interessanter Findling, der als monomiktes Konglomerat bestimmt wurde. Eine echte Rarität unter den Findlingen. Da der Ursprungsort dieses Gesteins nicht gesichert ist, wird der Findling nur als „Konglomerat mit Quarzgeröllen” bezeichnet, das aber ein Mindestalter von 550 Millionen Jahre aufweist.
Kirche in Rowa und Burg Stargard
Die Rücktour hat nun begonnen. Ich radel durch Usadel und biege ins Dorf Groß Nemerow ab und durchfahre anschließend das Dorf Rowa. Die dortige rustikale Dorfkirche ohne Kirchturm, dessen Mauerwerk mit Findlingen eingefasst ist, ist für geologisch Interessierte ein Hingucker. Zumal man dort all die typischen Geschiebe findet, die man auch an der Ostseeküste noch finden kann. Die kirchturmlose Kirche wird der Spätgotik zugeschrieben und wurde Ende des 15. Jahrhunderts erbaut.
Nach meinem Besuch bei der Dorfkirche geht wieder mal hoch hinaus. Über einen ruckeligen Weg, teils fahrend, teils schiebend, geht es für mich und „Esel” zur Burg Stargard. Dort findet zurzeit ein Frühlingsmarkt statt und es gibt einige Fressbuden und Verkaufsstände. Perfekt für eine kurze Rast. Zugegeben, hier auf der nördlichsten Höhenburg Deutschlands gibt es eher Mittelalter als eiszeitliche Dinge zu entdecken, doch auch hier zwischen den Burgmauern, die im 13. Jahrhundert errichtet wurden, muss man nur ein wenig seinen Blick auf dem Boden schweifen lassen, dann sieht man schon einiges an eiszeitlichem Geschiebe.
Durch das Lindetal zum Findlingsgarten „Hinterste Mühle”
Nach der kleinen Stärkung auf Burg Stagard ist der letzte Abschnitt der Tour dran. Von der Burg herunter in den Ort und verlasse ich ihn wieder in Richtung Norden, wo ich den Verlauf der Linde folge.
Die Linde ist ein etwas über 42 Kilometer langer rechter Nebenfluss der Tollense, der im Abschnitt Lindetal durch ein flaches Erosionstal fließt. Hier radelt es sich wunderbar entspannt, da es kaum Steigungen gibt. Kurz vor dem Erreichen des historischen Geländes „Hinterste Mühle” passiere ich den gleichnamigen Findlingsgarten, den ich bereits vor einigen Jahren – damals noch mit meinem Rad „Patchwork” – aufgesucht habe.
Bereits damals ist mir der nicht gerade gute Zustand des Findlingsgartens aufgefallen. Leider kann ich keine Verbesserung erkennen. Einige Schilder sind leider unlesbar und auch einige Findlinge haben bereits Moos oder Flechten angesetzt. Hier wäre eine Generalüberholung der Findlinge und eine Erneuerung der Schilder wünschenswert. Immerhin die Info-Tafel mit der Geschichte des „Kiestagebau Hinterste Mühle” ist noch völlig intakt und gut lesbar.
Aber dennoch ist der Geschiebegarten ein trauriger Anblick und es ist wirklich schade, dass dieser Garten anscheinend keiner Pflege bekommt. Dabei liegt er direkt am Weg und kann sowohl mit dem Auto als auch mit dem Rad oder auch zu Fuß aufgesucht werden. Ein verschenktes Potenzial.
Nachdem ich mir ein Bild vom Findlingsgarten gemacht habe und mir nochmals alle Findlinge angeschaut habe, verlasse ich den Ort und beende auch damit quasi meine Eiszeit-Tour. Ein paar Pedaltritte sind noch nötig bis zum Hauptbahnhof Neubrandenburg, aber ich erreiche ihn zügig und muss auch nicht lange auf meinen Zug warten.
Mein Fazit zur Radrunde
Anspruchsvolle Tour, die doch den ganzen Tag in Anspruch nimmt, wenn man sich bei den einzelnen Stationen Zeit lässt.
Mein Gravelbike war für die unterschiedlichen Wegbeschaffenheiten die ideale Wahl. Wer sich für die Geologie der Region interessiert und auch ein paar Höhenmeter nicht scheut, dem empfehle ich diese Radrunde. Gegebenenfalls kann man den Abstecher zu den Hellbergen und zur Burg Stargard aussparen.
Steckbrief zu „Radtour in Neubrandenburg und am Tollensesee”
Wegbeschaffenheit
teilweise Asphalt, teilweise befestigter Uferweg, bei den Hellberge schmale Fußwege; die Strecke weist manchmal starke Gefälle auf
Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln
Regionale Züge fahren nach Neubrandenburg
Einkehrmöglichkeiten
In Neubrandenburg gibt es folgende mögliche Einkehrmöglichkeiten
Quellen und lesenswerte Links
Hier gibt es weiteres Lesefutter zur Eiszeit-Tour:
- Erfassungsbericht des Brohmer Eis – www.mv-regierung.de (PDF-Datei)
- Der Tollensesee – Homepage der Stadt Neubrandenburg
- Eugen-Geinitz-Sicht – www.mv-regierung.de
- Der Findling an der Eugen-Geinitz-Sicht in Usadel – ein außergewöhnliches monomiktes Konglomerat aus dem Jotnium Nordschwedens? – e-docs.geo-leo.de
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